Geschichte eines Baumes

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Geschichte eines Baumes

Beitragvon Elsacron » 13 Sep 2002 11:22

Es mag sein, dass die Leute unter Euch es schon kennen da es auch schon etwas aelter ist, aber ich moechte es trotzdem gerne nocheinmal posten da mich das sehr bedrueckt hat.


es folgt mal etwas eindrückliches zum Nachdenken für unsere ganze Gemeinschaft. Ich bin der Meinung, dass es sich lohnt, den folgenden Text zu lesen der soweit ich mich erinnere einmal so mitte 1999 veröffentlicht wurde...

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Geschichte über einen Baum

Ich möchte euch gerne eine Geschichte über einen Baum erzählen. Dieser Baum wächst in einer anderen virtuellen Welt als der von Ultima Online – in einem der unzähligen Text-MUDs, die es im Internet gibt. Er wächst im Garten der Erinnerung und der Boden um den Baum ist übersät mit Blumen und Pralinenschachteln und Zetteln mit herzergreifenden Gedichten darauf. Und es gibt dort auch ein Schild – „In Erinnerung an Karyn“ steht darauf. Die Geschichte, die ich euch erzählen will, ist die Geschichte dieses Schildes und dieser Person – jemand den ich nie getroffen habe. Karyn loggte schon vor etwas längerer Zeit das erste Mal in diese virtuelle Welt ein. Sie kam aus Norwegen. Sie kam immer wieder, brachte Freunde mit – einige davon sprachen nur wenig Englisch, aber für diejenigen machte sie den Dolmetscher. Sie fand Freunde. Zufällig hatte sie auch eine Webseite über diese virtuelle Welt und hat darauf Bilder von sich selbst veröffentlich, wo alle sehen konnten, dass sie ein süsses Lächeln hatte.

Als ihre Verbindung zu der Welt wuchs, rief sie eine Gilde ins Leben. Sie nannte die Gilde „The Norse Traders“ und mit viel Arbeit wurde daraus eine der berühmtesten und bekanntesten Gilden in dem Spiel. Es war eine Gilde von Händlern, die auch zusammen Abenteuer erlebten und schon bald waren die Beteiligten alle gute Freunde. Im März diesen Jahres fiel einigen der Freunde auf, dass Karyn schon eine Weile nicht mehr dagewesen war. Ihr wisst, wie das in der Online-Welt ist – die Leute gehen nicht, sie vergessen schlicht sich zu melden, in der Regel; und man weiss nicht, was mit ihnen passiert ist. In diesem Fall gab es ja aber eine Webseite, die man besuchen konnte. Also suchten einige Leute nach Karyn und ihrem Verbleib.

Einen Tag darauf wurde über Foren und Emails und schliesslich auch über die Willkommens-Nachricht auf der Webseite, wenn man sich dort einloggte, bekannt: Karyn war tot. Sie starb an den Folgen eines Unfalls mit ihrem neuen Auto, das sie Probe gefahren war. Und das Ganze geschah zwei Monate zuvor, im Januar; und keiner von uns wusste es.

Ihre Eltern wussten, dass sie Freunde im Internet hatte – sie wussten nicht so richtig, was sie online machte oder wer diese Freunde waren aber sie wussten, dass dort draussen Menschen waren, die vielleicht wissen wollten, was geschehen war. Es dauerte seine Zeit, bis sie herausgefunden hatten, wo ihre Webseite war und wie man darauf eine Nachricht veröffentlicht. Sie schafften es aber und sie fügten norwegische Nachrichtenartikel über den Autounfall bei.

Die Verbreitung der Meldung in der virtuellen Welt war rasant. Leute, die sich monatelang nicht eingeloggt hatten, bekamen die Nachricht über Newsletter. Es wurde eine Beerdigung organisiert. Und schliesslich, wurde ein Garten der Erinnerung erstellt und ein Baum in Erinnerung an Karyn gepflanzt. Spieler pilgerten zu dem Garten, um ihr Mitgefühl auszudrücken. Der Code des MUD wurde geändert, damit Dinge, die in diesem Garten hinterlassen wurden, permanente Teile der Welt wurden.

Allerdings konnten bei all den Events die Leute ihr Mitgefühl, für jemanden, den sie niemals gesehen oder getroffen hatten, nicht richtig begreifen. Sie konnten den tiefen schmerzlichen Verlust eines anderen, mit dem sie „nur ein Spiel spielten“, nicht verstehen. Wenn sie versuchten, den Verlust zu beschreiben, mussten sie sagen „Ich habe mit ihr mal eine Gruppe zusammengestellt und wir sind in einen Dungeon gegangen“. Sie konnten das Gefühl, dass ein Mitglied ihres Umfeldes gegangen war, nicht richtig ausdrücken.

Nun wussten sie auch, wieso die Norse Traders seit Januar irgendwie auseinander gefallen waren. Weil Karyn, als das Zentrum des Ganzen, nicht da gewesen war. Es wurde ihnen klar, dass die komische Beklemmung, die sie fühlten, als sie mit einem Lag von zwei Monaten von ihrem Tod erfuhren, bereits dort ihren Anfang fand, als sie sich nicht mehr einloggte – nicht erst, als sie die Nachricht schliesslich erreichte.

Letztlich steht der Baum nun nicht nur als Denkmal für eine lieb gewonnene und oft vermisste Person, sondern als ein Ausdruck eines Augenblickes, des Augenblickes, in dem die Spieler eines Online Spieles erkannten, dass sie kein „Spiel spielten“. Der Augenblick, in dem sie erkannten, dass die sozialen Bande, die sie in dem „Spiel“ knüpften, real waren.

Es gibt ein Kinderbuch, „The Velveteen Rabbit“, über einen Plüschhasen, der sich so sehr wünscht real zu werden. Und am Ende macht die Liebe eines Jungen, dessen Spielzeug der Hase ist, dies wahr.

Die sozialen Bindungen der Leute in einer virtuellen Umgebung machen daraus mehr als nur ein Spiel. Sie lassen sie real werden. Manchmal braucht es dafür erst einen Moment der Bestürzung, um die Leute dies erkennen zu lassen und manches Mal kommen die Leute mit der Zeit selbst darauf, aber die grundlegende Tatsache bleibt gleich: wenn wir Freundschaften schliessen, jemanden verletzen, Verlust erfahren oder etwas in einer Onlinewelt erschaffen, dann ist das Real. Es ist nicht „nur ein Spiel“.

Ultima Online wurde mit einer einfachen Philosophie gemacht: dass wir eine Onlinewelt bereitstellen, die leben und atmen kann und neue und unvorhersehbare Wege geht. Wir wollten den Spielern die Möglichkeit geben, Online-Gemeinschaften auszubauen, in einer Art, wie es sie vorher noch keine andere Onlinewelt ermöglicht hat. Es ist überraschend und erfüllt mit Stolz, einige der Ergebnisse heute zu sehen: freiwillige Polizeikräfte, Rollenspieler-Tavernen, Mini-Olympiaden und –Verwaltungen. Und ja, leider auch einige Beerdigungen wurden abgehalten, da es in jeder Gemeinschaft dieser Grösse auch Verluste zu beklagen gibt.

Was wir niemals aus den Augen verlieren sollten ist, dass wir, mit der Teilnahme an dieser neuen Art der Gemeinschaft, Neuland betreten, was ohne Zweifel innerhalb der nächsten Dekade, in der das Internet immer wichtiger wird für die Geschäftswelt, Ausbildung und Unterhaltung und andere Gebiete, ausserhalb des Spielens, sehr wichtig sein wird. Die Probleme, mit denen die Spieler von UO täglich kämpfen – wie das Reputation System funktionieren sollte, was man gegen Nötigung tun kann, usw. – sind die Schlüsselprobleme der virtuellen Realität für die nächsten paar Jahre. Und wir können diese Probleme nur angehen, weil ihr, die Bewohner Britannias, mehr als nur Spieler seid – ihr seid eine selbstständige Gemeinschaft, die über das Spiel hinaus in die Realität geht.

Mir kann niemand erzählen, dass der Garten der Erinnerung nicht real ist oder das die Bestürzung, die wir alle über Karyn’s Tod empfangen nicht real ist. Und ich hoffe, dass UO Spieler sich von niemandem einreden lassen, dass ihre Erfahrungen innerhalb von UO nicht real sein sollten, dass dies „nur ein Spiel“ sei. Das mag für einige Leute so sein – aber wir wissen es alle besser, oder nicht? Für Karyn und für uns selbst.

Gez. Designer Dragon

Anm. Tetra: Designer Dragon, der diesen Text verfasste, war/ist ein Entwickler bei Origin Systems Inc. (OSI), die Ultima Online (UO) programmiert haben.....
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Beitragvon Mike » 13 Sep 2002 17:38

Ja das war damals '98 '99 .. hat mich damals auch ziemlich trübe gestimmt.. als ichs grad' durchgelesen habe, hab' ich mich wieder dran erinnert.

Ich hoffe uns wird das erspart bleiben!

Mit nachdenklichen Grüßen
Mike
 
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